Social Learning: Gemeinsam besser lernen
Bevor Kinder überhaupt in die Schule kommen, haben sie schon jede Menge nur durch Beobachtung und Imitation gelernt: Wie man eine Sonne malt, wie man Roller fährt, wie man so am Tisch sitzt und isst, dass Mama nicht schimpft. Im Fachjargon: Soziales Lernen. Social Learning ist also kein neues Konzept, sondern bedient sich lediglich der natürlichsten Form des Lernens, die wir als Mensch kennen. In diesem Beitrag erfahren Sie mehr über Social Learning, welche Vorteile Sie für Ihr Unternehmen aus Social Learning ziehen können und wie sich die Lernmethode in den Arbeitsalltag integrieren lässt.
Was ist Social Learning?
Tatsächlich ist soziales Lernen kein neues Konzept, sondern so alt wie die Menschheit selbst: Durch Beobachtung beginnen wir als Kleinkinder, Bezugspersonen zu imitieren. Später helfen uns außerdem die Fähigkeiten der Bewertung und Identifikation, einen Platz in der Gesellschaft zu finden, Meinungen und unser Selbstwertgefühl zu bilden – ein Prozess, den wir ganz natürlich und unbewusst jeden Tag unseres Lebens nutzen. Dabei verfolgen wir als soziale Wesen meist das Ziel, das eigene Verhalten so an soziale Kontexte anzupassen, dass wir in unserem individuellen Umfeld Akzeptanz finden.
Sprechen wir jedoch von “Social Learning” ist damit in der Regel eine Lernmethode gemeint, bei der wir den natürlichen Prozess nutzen, um im Austausch mit Kolleg*Innen, Vorgesetzten, Coaches und Mentor*Innen neues Wissen zu erlangen. Wie wichtig Social Learning ist, beweist auch das 70-20-10 Modell, nach dem wir 20% all unseres Wissens durch soziale Interaktion erlernen – auch und insbesondere am Arbeitsplatz.
Die beiden wichtigsten Social Learning Theorien
WissenschaftlerInnen haben im Laufe der Zeit verschiedene Theorien zum sozialen Lernen entwickelt und erforscht. Ursprünglich geprägt hat den Begriff der kanadisch-amerikanische Psychologe Albert Bandura, der sich vorrangig mit dem sozialen Lernen als Teil von Kindererziehung fokussierte.
Albert Bandura, 1977
Die Theorie Albert Banduras besagt, dass Menschen nicht ständig von ihrer Umwelt lernen würden, sondern dass es einen vorgeschalteten Denkprozess braucht, der das aktive Lernen durch Beobachten aktiviert. Dieser Denkprozess kommt immer erst dann in Gang, wenn wir zu dem Schluss kommen, dass unser bisheriges Verhalten geändert werden muss. Laut Bandura nennt sich die Überlegung, ob wir ein Verhalten imitieren wollen, einen “Vermittlungsprozess”.
Bewusstsein: Damit wir ein Verhalten imitieren können, muss es uns zunächst auffallen – in der Regel dadurch, dass es sich von der Masse abhebt.
Merkfähigkeit: Des Weiteren können wir ein Verhalten nur imitieren, wenn wir uns das Verhalten, das uns zuvor aufgefallen ist, auch merken können.
Umsetzbarkeit: Anschließend stellt sich die Frage, ob wir das Verhalten, das wir zunächst bemerkt und uns gemerkt haben, selbst umsetzen können – also ob wir über die dafür notwendigen Eigenschaften verfügen.
Motivation: Sind alle drei vorherigen Punkte erfüllt, entscheidet unsere Motivation, ob wir ein Verhalten auch wirklich imitieren werden, abhängig davon, wie wünschenswert wir die Konsequenz für uns einschätzen.
John Krumboltz (1976-1996)
John Krumboltz, amerikanischer Professor für Psychologie an der Stanford University, entwickelte eine Theorie zum Sozialen Lernen in Bezug auf berufliche Entwicklungen, speziell in Bezug auf Karriereentscheidungen. Laut seiner Theorie gibt es vier Faktoren, die wir dabei in unsere Entscheidungsprozesse einbeziehen. Im Gegensatz zu Banduras Theorie bauen diese Prozesse nicht chronologisch aufeinander auf, sondern beeinflussen sich gegenseitig unvorhersehbar in vielfältiger Hinsicht.
Generalisierte Selbstbeobachtung: Wir betrachten bewusst und unbewusst unsere Fähigkeiten, Stärken, Schwächen und Leistungen und richten daran unser zukünftiges Denken und Handeln aus – auch berufliche Entscheidungen.
Generalisiertes Weltbild: Durch bewusste und unbewusste Beobachtungen unserer Umwelt formen wir unser Weltbild und stellen Thesen darüber auf, wie sich die (unsere) Welt in Zukunft entwickeln wird.
Fähigkeiten zur Aufgabenbewältigung: Ähnlich zum Punkt der Umsetzbarkeit von Bandura, nutzen wir unsere Selbsteinschätzung über genetische Faktoren, Umwelteinflüsse, Fähigkeiten und Erfahrungen, um zu definieren, ob und wie wir eine Aufgabe lösen.
Handlungen: Je mehr wir über uns selbst lernen und je bewusster wir uns über uns selbst und unsere Umwelt sind, desto mehr sind unsere (Karriere)Entscheidungen beeinflusst.
Wie Unternehmen von Social Learning profitieren
Natürlich lernen
Der größte Vorteil von Social Learning liegt darin, dass diese Lernmethode ohnehin von allen Menschen tagtäglich bewusst und unbewusst praktiziert wird. Entsprechend gilt es in diesem Fall nicht, eine neue Lernmethode und/oder Tools zu implementieren, sondern lediglich natürliche Prozesse zu fördern.
Geringe Kosten
Mitarbeitende zusammenzubringen, Netzwerke zu schaffen und aktiv zum sozialen Lernen zu animieren bedarf natürlich eines gewissen Engagements, jedoch sind die Kosten nicht vergleichbar mit einem Seminar.
Nachhaltiges Wissensmanagement
Sie werden sich wundern, wie schnell sich die Infos verbreiten, welche Person im Unternehmen man zu welchem Thema befragen kann. Wird Social Learning nicht nur geduldet, sondern gefördert, entsteht in kürzester Zeit ein MentorInnen-Netzwerk, das andere Lernquellen sogar partiell ersetzen kann. Besser noch: Durch die Weitergabe von Wissen untereinander bleiben wichtige Informationen sogar dann noch erhalten, wenn einzelne Mitarbeitende das Unternehmen irgendwann verlassen sollten.
Gesteigerte Mitarbeiterbindung
Weiterbildung ist eine der wichtigsten Maßnahmen, um Mitarbeitende langfristig an das Unternehmen zu binden. Social Learning unterstützt also nicht nur die Mitarbeiterbindung durch Weiterbildung, sondern stärkt obendrein auch noch die Bindung der Mitarbeitenden untereinander.
Problemlösung in Echtzeit
So ziemlich jede moderne Lernmethode hat zum Ziel, Wissen im konkreten Moment of Need bereitzustellen – also genau dann, wenn die Mitarbeitenden es brauchen und sofort anwenden können. Social Learning bietet auf natürliche Weise schnelle Antworten auf Problemstellungen – nämlich schlicht durch die Zusammenarbeit und Erreichbarkeit von KollegInnen, ganz egal ob diese analog im Büro oder digital. So kommen Mitarbeitende zügig zu Antworten und festigen das neu erlernte Wissen unmittelbar durch dessen Anwendung – die effektivste und natürlichste Art, auf die man überhaupt lernen kann.
Effektiveres Onboarding
Onboarding lässt sich wunderbar bereits vor dem eigentlichen Arbeitsbeginn mithilfe von E‑Learning umsetzen und bleibt so auch jederzeit zugänglich. Dennoch ist die soziale Komponente nicht zu unterschätzen: Dinge, die uns analog durch die Interaktion mit anderen Mitarbeitenden gezeigt werden, lassen sich sehr viel schneller adaptieren – sei es der gemeinsame Weg in die Kantine, die Handhabung der Kaffeemaschine oder die morgendlichen Prozesse zu Arbeitsbeginn. Mal ganz davon abgesehen, dass ein analoges Onboarding natürlich auch dazu beiträgt, dass man sich schnell am neuen Arbeitsplatz wohlfühlen kann.
Höherer Lernerfolg
Social Learning hat einen nachweislich höheren Lernerfolg als formelles Lernen – nicht nur, weil wir uns ohnehin besser an Erklärungen von KollegInnen, Stimmlagen, vorgeführte Handlungen oder vielleicht den Witz, den die Kollegin dabei macht, erinnern können, sondern weil uns Social Learning zumeist auch in die Situation versetzt, neu erlerntes Wissen unmittelbar selbst anzuwenden. Die Kombination von beiden Faktoren sorgt dafür, dass Wissen langfristig abrufbar bleibt.
Mögliche negative Auswirkungen von Social Learning
Social Learning kann, wenn es zu viel angewendet wird, unter Umständen auch negative Auswirkungen haben. Deshalb ist es wichtig, nach Tools und Möglichkeiten zu suchen, um die Effekte zumindest mit einem kritischen Auge zu überwachen. Denn hier besteht die größte Herausforderung von Social Learning: Im Gegensatz zu anderen (digitalen) Lernmethoden, lässt sich Social Learning nur sehr eingeschränkt messen und analysieren. Nutzen Sie Social Learning immer nur im Mix mit anderen Lernmethoden und achten Sie auf folgende Anzeichen:
Private Anekdoten und thematische Abschweifungen sind für Social Learning mitunter essenziell vor allem zu Zeiten von New Work, wo Grenzen zwischen Berufsalltag und Privatleben immer mehr verschwinden und man Wissen häufig aus anderen Bereichen adaptieren muss. Ggf. kann es trotzdem notwendig werden, Gruppendiskussionen zu moderieren, falls Gruppen merklich und wiederholt den Fokus verlieren.
Das Ziel von Social Learning ist es, aus Beobachtung und Imitation zu lernen und so persönliche Lernerfolge zu erzielen, die wiederum langfristig aufs Konto des Unternehmenserfolgs einzahlen. Jedoch kann es passieren, dass die dauerhafte Orientierung an Vorbildern, für Frustration und Enttäuschung sorgt – immerhin orientieren wir uns in fast allen Fällen an Personen, die in einem bestimmten Aspekt “besser” oder “erfolgreicher” sind als wir selbst. Für Menschen ohne ein solides Selbstwertgefühl kann sich das auf die psychische Gesundheit auswirken. Umso wichtiger, dass Social Learning nur im Mix mit anderen Lernmethoden angewendet wird.
Fortschritt kommt von unkonventionellen Ideen oder – anders ausgedrückt – von “unangepassten” Gedanken. Social Learning jedoch zielt auf das Gegenteil ab: Auf die Imitation von wünschenswertem und akzeptiertes Verhalten, das positive Konsequenzen nach sich zieht – ganz egal, ob es sich dabei um das erfolgreiche Erlernen und Anwenden einer Software handelt oder einen bestimmten Führungsstil. Langfristig und bei zu starkem Fokus auf Social Learning kann sich die Lernmethode negativ auf die Innovationsfähigkeit des Unternehmens auswirken.
4 konkrete Möglichkeiten, um Social Learning im Unternehmen umzusetzen
1:1 Austausch
Die vielleicht offensichtlichste Möglichkeit, Social Learning zu fördern ist, Mitarbeitende zu aktivem Austausch zu animieren und zu betonen, dass die gegenseitige Wissensvermittlung erwünscht ist. Betonen Sie an passenden Stellen deshalb, dass Sie einen solchen Austausch als wünschenswert erachten und ihn anerkennen. Eine einfache Möglichkeit zu zeigen, dass der Austausch denselben Wert hat wie klassische Weiterbildung, ist eine entsprechende Kategorie im Learning-Management-System. So können Mitarbeitende bewusst Zeiten zum Social Learning einplanen und tracken.
Hierzu ist es natürlich notwendig, dieselben zeitlichen Freiräume zu gewähren, die auch formelle Weiterbildung bekommen würde. Darüber hinaus braucht es passende Räumlichkeiten oder die passenden digitalen Tools, damit Mitarbeitende sich zusammenfinden können.
Lerngruppen
Lerngruppen sind dann im Sinne des Social Learning effektiv, wenn sie auf Austausch und Diskussion basieren – nicht zu verwechseln damit, wenn einfach nur eine Gruppe zusammenkommt, um einer Präsentation oder einem Seminar beizuwohnen. Lerngruppen bieten sich also überall dort an, wo mehrere Personen dieselben Herausforderungen lösen müssen oder Fähigkeiten verbessern wollen. Je unterschiedlicher dabei die Vorkenntnisse, desto effektiver der Lernprozess. Auch hier gilt: Lerngruppen sollten immer in den Arbeitsalltag integriert werden, um von sämtliche oben genannten Vorteile zu profitieren.
Gamification
Bedenkt man die Social Learning Theorien und die Erkenntnisse über Gamification, wird deutlich, wie motivierend mitunter Wettbewerb und Vergleich sein können – schließlich liegt es in unserer menschlichen Natur, uns an anderen Menschen zu orientieren und mithalten zu wollen. Die einfachste Möglichkeit, diesen Wettbewerb in positiver Form anzuregen, ist gamifiziertes Lernen, also spielerisches Lernen, das Spielelemente wie beispielsweise Bestenlisten oder Badges inkludiert.
Gamification lässt sich am einfachsten digital umsetzen, Badges und Bestenlisten können aber natürlich auch analog vergeben und visualisiert werden. Bereits einfache Quizzes, die statt Tests zur Wissensüberprüfung zum Einsatz kommen, sind eine einfache Möglichkeit, um den internen Wettbewerb anzuregen.
Mentoring
Ältere Mitarbeitende verfügen in der Regel über sehr viel Fachwissen und Erfahrung und sind damit eine der besten Wissensquellen. Mentoring bietet die Möglichkeit, die Weitergabe dieses Wissens an junge Fachkräfte gezielt zu fördern und so das Wissen im Unternehmen zu halten. Anders als beim Coaching, das themenbezogen und zeitbegrenzt eingesetzt wird, zielt Mentoring auf eine langfristige und persönliche Beziehung zwischen Mentoren und Mentees ab. Im Optimalfall funktioniert der Wissensaustausch sogar beidseitig, indem jüngere Fachkräfte ihre Skills in pucto Software und Digitalisierung an ihre MentorInnen weitergeben können.
Social Learning mit digitalen Lernplattformen fördern
Wenn Sie sich bis zu dieser Stelle gefragt haben, wie sich Social Learning nun aber konkret umsetzen lässt, dürfen Sie sich über eine glücklicherweise sehr unkomplizierte Antwort freuen: Learning Management Systeme.
Learning Management Systeme dienen nicht nur als „Sammelplattform“ zur Bereitstellung sämtlicher E‑Learning-Angebote, sondern kann obendrein wie ein soziales Netzwerk genutzt werden, in dem die Mitarbeitenden zeit- und ortsunabhängig in Austausch gehen können. Kommentare, Audionachrichten, Videokonferenzen, Mentoring-Sessions, Lerngruppen… Jedes dieser Features lässt sich – eine professionelle Software vorausgesetzt – gezielt in die Lernpfade der Mitarbeitenden einbinden. Zusätzliche Kalenderfunktionen helfen bei der Planung.
Fazit.
Social Learning ist die natürlichste Art des Lernens, die wir ohnehin bewusst und unbewusst jeden Tag unseres Lebens praktizieren. Umso leichter fällt die Integration in den Unternehmensalltag und umso größer ist der Lernerfolg: Social Learning bedarf keiner aufwendigen Implementierung, sondern lediglich einer aktiven Förderung. Tools zur Umsetzung gibt es viele. Professionelle digitale Lernplattformen bieten jede Menge Funktionen, mit denen Social Learning auch dann stattfinden kann, wenn das analoge Zusammentreffen von Mitarbeitenden nur noch bedingt existiert. Achten Sie bei der Wahl Ihrer Lernplattform also unbedingt auf Features wie soziale Interaktionen, Videokonferenzen und Lernpfade.
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